Die unterschiedlichen Formen von Gewalt

Gewalt gegen Frauen wird definiert als eine komplexe Form der Verletzung der körperlichen und seelischen Integrität. Dazu gehören alle Formen physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie die ökonomisch-finanzielle und soziale Diskriminierung, als auch die strukturelle Gewalt, die als Grundlage für individuelle Gewalthandlungen angesehen werden kann.

1. Personale Gewalt

Körperliche Gewalt

Die in der Öffentlichkeit am deutlichsten wahrgenommene Form der Gewalt ist die physische Misshandlung. Die Angriffe reichen von Ohrfeigen, über schwere körperliche Misshandlungen wie Schläge mit der Faust, Würgen, Fußtritte, Gliedmaßen verrenken, Angriffe mit Waffen, bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen und dem Tod (Schweikert, 2000).
Auch der Einsatz von Fixierungsmethoden bei alten, kranken oder behinderten Menschen, Freiheitsentzug oder unangemessene persönliche oder medizinische Betreuung ist als körperliche Gewalt zu verstehen.

Psychische Gewalt

Kennzeichnend ist hier die Verletzung der seelischen Unversehrtheit und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen. Unter psychische Gewalt fallen Drohungen, wie z.B. der Frau oder ggf. ihren Kindern etwas anzutun, Beleidigungen, Demütigungen, das Erzeugen von Schuldgefühlen, Essensentzug und Einschüchterungen. Psychische Gewalt wird nach Schweikert (2000) von den Frauen als Zerstörung ihres Selbstwertgefühls und ihrer geistigen Gesundheit erlebt. „Mit der Zeit wird der Glaube der Frau an ihren Wert, ihre Identität, ihre Empfindungen und Gefühle zerstört."
Auch das Lächerlich machen der Frau in der Öffentlichkeit, beleidigende Äußerungen über ihr Aussehen, ihren Charakter oder Aussagen, die Frau sei psychisch krank etc., gehören zur psychischen Gewalt (Schweikert, 2000). Psychische Misshandlung bedeutet weiter die Existenz von Menschen mit Behinderung zu ignorieren, ihre Meinung nicht zu beachten und / oder sie vom öffentlichen Leben fern zu halten.

Ökonomische und Soziale Gewalt

Hierunter fällt die Herstellung und Aufrechterhaltung einer ökonomischen Abhängigkeit über Arbeitsverbote oder den Zwang zur Arbeit und die alleinige Verfügungsmacht über finanzielle Ressourcen. Insbesondere in Beziehungen kann Geld ein Mittel darstellen, Frauen aus Angst vor sozialem Abstieg und Verarmung in einer (gewaltbelasteten)  Beziehung festzuhalten (Schweikert, 2000). Soziale Gewalt äußert sich häufig in der Isolation der Frau, indem Kontakte verboten oder kontrolliert werden. Da eine Behinderung häufig Isolation und finanzielle Probleme mit sich bringt, besteht für Frauen mit Behinderung hier besonderes Gefährdungspotential.

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt umfasst jede Form einer sexuellen Handlung, deren Ausübung gegen den Willen einer Frau verstößt und die der Betroffenen die Verfügungsmacht über ihren Körper nimmt. Dazu zählen u. a. Exhibitionismus, ungewollte Berührungen an primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, erzwungenes Anschauen von Pornographie, vaginale, anale und orale Penetration, Zwang zur Prostitution sowie der (direkte oder indirekte) Zwang zu anderen sexuellen Handlungen. Auch verbale Belästigung und  unangemessene Blicke oder Gesten mit sexualisierten Bezug sind als sexuelle Gewalt zu verstehen Bei der sexuellen Ausbeutung handelt es sich nach Zemp nicht in erster Linie um ein Sexualdelikt sondern um ein Gewaltdelikt und um ein Machtproblem, bei dem Sexualität als Kontroll- und Unterwerfungsritual missbraucht wird. „Das ist möglich in gesellschaftlichen Strukturen, in denen (…) Frauen, Behinderte und Kinder nicht in erster Linie als Individuen wahrgenommen, sondern als Objekte zur Bedürfnisbefriedigung missbraucht werden“ (Zemp, Ahia: „Weil das alles weht tut mit Gewalt“).
Meistens erleben Frauen, entgegen verbreiteten Annahmen, die Vergewaltigung und sexuelle Nötigung durch einen bekannten Mann bzw. durch den Partner als besonders demütigend und traumatisierend (Schweikert, 2000). Ähnlich wie nichtbehinderte Frauen sind Frauen mit Behinderung überwiegend sexueller Gewalt aus dem nahen sozialen Umfeld ausgeliefert (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003). Kennzeichnend ist häufig die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Täter und Opfer. So werden sexuelle Übergriffe sowohl von Familienangehörigen als auch von Assistenz- und Fachkräften in betreuenden Einrichtungen oder auch von Mitbewohnern oder Mitbewohnerinnen ausgeübt.


Folgen von Gewalt

Die Folgen von Gewalt für die betroffenen Frauen weisen nach Schweikert (2000) eine große Bandbreite auf. Sie sind meistens sehr langfristig und folgenreich für die Frauen und ziehen psychische, soziale und finanzielle Konsequenzen nach sich. Physische Folgen sind z. B. die Schädigung innerer Organe, Knochenbrüche, Hirnschädigungen aufgrund jahrelanger Schläge auf den Kopf, schlecht verheilte Narben oder Entstellungen im Gesicht, verminderte Seh- und Hörfähigkeit etc. Auch massive Unterleibsverletzungen durch Schläge oder Tritte in den Unterleib oder erzwungenen Geschlechtsverkehr sind häufig als Folge zu diagnostizieren.
Zu den psychischen Folgen gehören z. B. Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen, Misstrauen, Scham- und Schuldgefühle, niedriges Selbstwertgefühl, Gefühle der Beschmutzung und der Stigmatisierung, Essstörungen und Abhängigkeitserkrankungen (Schweikert 2000). Häufig entwickeln Frauen, insbesondere bei sexuellen Gewalterfahrungen eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwerwiegende psychische Erkrankungen.

Weiterlesen: Strukturelle Gewalt